Kalb mit Kuh

Tierfreundliche milch – geht das überhaupt?

Bio-Bäuerin Julia Kurz über die muttergebundene Kälberaufzucht in der Praxis

28.9.2022

In der konventionellen Landwirtschaft trennt man Milchkühe und Kälber schon wenige Stunden oder Tage nach der Geburt. Das Leid der Kälber und Kühe ist groß: Mutterkühe rufen nach ihren Kälbchen, Kälber entwickeln oft Verhaltensstörungen.

Julia und Bernhard Kurz haben ihren Milchviehbetrieb 2018 auf die biologische Wirtschaftsweise umgestellt und sich gleichzeitig dafür entschieden, dass ihre Kälber drei Monate lang bei ihren eigenen Müttern bleiben dürfen.

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Interview mit Bio-Bäuerin Julia Kurz

VIER PFOTEN hat mit Julia Kurz darüber gesprochen, wie die muttergebundene Kälberaufzucht in der Praxis funktioniert.

Normalerweise werden Kälber von Milchkühen schon nach den ersten Lebenstagen von der Mutter getrennt, damit die gesamte Milch für den menschlichen Verzehr genutzt werden kann. Ihr macht es anders: Seit 2018 betreibt ihr die sogenannte muttergebundene Kälberaufzucht. Wie können wir uns das vorstellen?

Bei uns bleibt jedes Kalb, die weiblichen als auch die männlichen, drei Monate bei der eigenen Mutter und ist durchgehend 24 Stunden in der Milchviehherde. Im Normalfall tränkt die eigene Mutter ihr Kalb, es werden keine Ammenkühe eingesetzt. Die Tiere sind Tag und Nacht im großen Kompostierstall sowie auf der Weide im Herdenverband und können nach Lust und Laune zu ihrer Mutter.

Was geschieht nach den ersten drei Lebensmonaten mit den Kälbern?

Nach drei Monaten werden sie auf den elterlichen Bio-Betrieb gebracht. Die männlichen Kälber werden vom Tierarzt unblutig kastriert und als Weide-Ochsen gemästet. Die weiblichen Tiere kommen auch auf den elterlichen Betrieb, wo sie ca. 1 ½ Jahre aufgezogen werden. Danach kommen sie wieder als Milchkuh auf unseren Betrieb zurück.

Wie habt ihr eure Kälber vorher aufgezogen?

Davor haben wir sie klassisch mit der Eimertränke aufgezogen. 2016 wurde der Betrieb übernommen, dann sind wir in die Direktvermarktung eingestiegen und haben als Umstellerbetrieb (auf biologische Landwirtschaft) gestartet. Wir haben aber auch als konventioneller Betrieb nie Milchaustauscher gefüttert, sondern immer schon die Milch der Kühe.

Warum seid ihr auf die muttergebundene Kälberaufzucht umgestiegen?

Wir waren, als wir den Hof übernommen haben, damals beide noch berufstätig und machten uns Gedanken darüber, wie wir gesunde und fitte Kälber aufziehen können. Neben dem Beruf konnten wir unseren Ansprüchen, die wir an die Arbeit mit den Tieren hatten, nicht gerecht werden. Kälbern muss man einfach mehr Zeit widmen. Und wer, wenn nicht die Kuh, kann dem Kalb alles geben, was es braucht.

Kälberdurchfall war immer wieder ein Problem gewesen. Das hastige Trinken der fünf bis sechs Liter Milch, die die Kälber mit dem Eimer zweimal am Tag bekommen, entspricht nicht ihrem natürlichen Fressverhalten und fördert Durchfall. Normalerweise holen sie sich mehrmals am Tag kleinere Portionen am Euter der Mutter. Im Winter kühlte die Milch auch immer sehr schnell aus, was sich ebenfalls negativ auf die Kälbergesundheit auswirkt. Die Versuche mit angesäuerter Milch, die wir als konventioneller Betrieb gemacht hatten, konnten wir als biologischer Betrieb nicht weiterführen.

Ein weiterer Gedanke war, dass wir die Kuh melken, damit wir dann das Kalb tränken können. Wie unlogisch ist das? Diesen einen Arbeitsschritt könnte man sich ersparen.

Wie viele Kühe habt ihr und welcher Rasse gehören sie an?

Wir haben momentan 18 Fleckvieh-Kühe.

Wenn wir hier über die Weide schauen, sehen wir, dass fast alle Tiere Hörner tragen. Wie ist eure Erfahrung damit und warum verzichtet ihr auf die schmerzhafte Enthornung der Tiere?

Für uns ist das die artgerechtere Haltung, weil für uns das Horn zur Kuh gehört. Unseres Erachtens hat die Kuh nicht umsonst das Horn, es hat einen Nutzen für die Kuh. Im alten Stall wäre das nicht möglich gewesen. Wir hatten damals schon vereinzelt behornte Kühe und da waren die Verletzungen von den Tieren zu groß, weil zu wenig Platz gegeben war. Wir haben den Stall jetzt danach ausgerichtet, dass die Tiere Hörner tragen können. Die Kühe ohne Hörner sind unsere älteren Kühe.

In der industriellen Milchviehhaltung kann man bei Kälbern massive Verhaltensstörungen, wie beispielsweise gegenseitiges Besaugen, beobachten. Kommt dies auch bei Ihnen vor?

Eher kaum bis gar nicht, zumindest beobachten wir diesbezüglich eine sehr positive Entwicklung. Wir denken, dass die Bedürfnisse des Kalbes bei dieser Haltung wesentlich besser abgedeckt werden.

Was geschieht mit den männlichen Kälbern?

Im Prinzip das gleiche, wie mit den weiblichen. Sie sind drei Monate bei der Milchkuh. Dann kommen sie auf unseren anderen Betrieb auf die Weide und werden dort als Ochsen mit ca. 27 bis 30 Monaten geschlachtet. Kastriert werden sie unter Narkose vom Tierarzt.

Was füttert ihr euren Tieren?

Momentan bekommen sie Grünfutter und Heu, da unsere Bewegungsweide zu klein ist und sich daher nicht zur Vollweide eignet. Über die Wintermonate füttern wir Gras- und Maissilage sowie Heu. Das Futter stammt von den eigenen Flächen wo wir Luzerne und Klee mit diversen Gräsern im Gemenge zur Fütterung anbauen. Diese Futterleguminosen eignen sich auch sehr gut als Vorfrucht für Getreide, welches wir großteils nach der Ernte direkt an eine Mühle verkaufen. Weizen, Gerste, Roggen und Dinkel findet man normalerweise in unserer Fruchtfolge, Triticale und Nackthafer gibt’s manchmal auch. Einen geringen Teil der Ernte verwenden wir als Lockfütterung für die Kühe.

Wie oft werden die Kühe gemolken und was machen die Kälber in dieser Zeit?

Die Kühe werden 2x am Tag, also morgens und abends, gemolken. Die Kälber gehen maximal die ersten drei Tage mit in den Melkstand, damit die Kuh besser gemolken werden kann. Danach bleiben die Kälber dann alleine im Kompoststall wo sie speziell während der Melkzeit einen riesigen Spielplatz für sich haben. Zudem können sie ihre Mütter auch beim Melken besuchen und nachdem die Kühe während des Melkens in den Stall sehen, bleiben auch die Helikoptermütter ruhig.

Wieviel Milch bleibt noch für den Verkauf übrig und rechnet sich das?

Wir hoffen, dass es sich bald rechnet. Während der drei Monate bleibt maximal in den ersten 1 ½  Monaten Milch übrig, die abgemolken wird. Danach trinken die Kälber alles. Ab dem Absetzen steht uns dann die gesamte Milch der Kuh zur Verfügung, bis diese das nächste Kalb bekommt.

Wo bekommt man eure Milch und was kostet sie?

Wir verkaufen unsere Produkte bei uns ab Hof und durch unterschiedliche Lebensmitteleinkaufsgemeinschaften und in einigen Märkten in Wien. Im Durchschnitt kostet bei uns der Liter Milch 1,50€ im Verkaufspreis, im Geschäft bekommt man die Milch ab ca. 2€.

Kalb und Kuh

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